Schon am 2. August 1914, das ist der 1. Mobilisierungstag gerade einen Tag nach der deutschen Kriegserklärung an Russland, wurde Karl mobilisiert, und am 5. August war er wieder in Berlin. Dort lässt er ein Foto anfertigen – das haben viele Soldaten für ihre Angehörigen getan. (Von seinem Bruder Hermann existiert ebenfalls ein Foto aus Munsterlager, abgelichtet in voller Ausrüstung.)
Am 10. August rückte Karls Einheit nach Westen ab und wurde in Lothringen und in Belgien in schwere Kämpfe verwickelt. Ende August wurde sie nach Ostpreußen verlegt, dann nach Galizien (damals eine Provinz Österreich-Ungarns, heute Südpolen), nachdem die Österreicher eine russische Offensive nicht hatten abwehren können. Im Herbst 1914 wurde er schwer verwundet; ein Schrapnell durchschlug sein Bein.
All dieses Geschehen hat er in seinem Notizbuch aufgezeichnet, manchmal mit unglaublicher Genauigkeit, wenn es um Ortschaften oder Uhrzeiten ging. Hier kommen nun Auszüge aus diesem handlichen Notizbüchlein, das in jede Hosen- oder Jackentasche passte (aufgeschlagen gerade 18x15cm misst, Format kariert. Dieses Format scheint in der deutschen Armee Standard zu sein, denn in verschiedenen Reportagen und Berichten über den Ersten Weltkrieg wird, wenn aus Tagebüchern zitiert wird, oft ein solches Heft mit abgebildet).
Ich habe die einzelnen Seiten des Tagebuches eingescannt und transkribiert. Der Scan erscheint jeweils oben, darunter dann die Transkription.
Wo es mir sinnvoll erschienen ist, habe ich Scans aus einer Landkarte aus dem Jahre 1910 zwischengeschoben.
Ferner habe ich es gegliedert; hier sind die einzelnen Abschnitte:
Notizen zur Person:
Hier sehen wir Angaben zu Dienstgrad und Einheit, dann die Anschrift seiner Frau Frieda.
Wer Heinrich Röhrs ist, den er ganz unten nennt, wissen wir nicht. Vielleicht war er einer der wenigen, die Plattdeutsch sprachen; immerhin kam er aus dem Kreis Fallingbostel, war also auch Heidjer.
Reservist Karl Brammer
Maschinengewehrkomp.
III. Bataljon ??? Inf. Rgt.
6. Garde Division
Garde Reserve Korps
_______________________
Adr. nach Hause
Frau Frieda Brammer
Gr. Süstedt b. Gerdau
Kr. Uelzen Pr. Hann. (Kr.: Kreis; Pr.: Provinz)
__________________________
Heinrich Röhrs
Ostenholz b. Fallingbostel
L.I.R. ????
M.G.K. Reservist
Nr. 76 Karl Brammer
___________________________
Truppentransport nach Westen – Belgien und Frankreich
Am 5. August abgereist von der Heimat
“ 10. “ abgefahren von Berlin
über Rathenow Stendal
Obisfelde (Oebisfelde) Isenbüttel Gifhorn
Lehrte Hannover Minden
Portawestfalika Löhne
Herfort Bielefeld
Gütersloh Hamm Hagen
Barmen Elberfeld Obladen (Opladen)
Mülheim a. Reihn (sic). Cöln (sic)
Bonn Hillersheim (Eifel)
Am 11.+12. August
bei Jakob Müller
Am 13. August Statkül
Am 15. “ Krinkel
_____________________
10. August: Abfahrt „nach dem Krieg“
Ab dem 10. August ist fast jeder Tag verzeichnet. Nach 2 Ruhetagen in Bonnines wird die Einheit nach Osten verlegt. Denn wider Erwarten sind russische Truppen tief ins Reichsgebiet vormarschiert und hatten große Teile Ostpreußens besetzt. (Der „Schlieffenplan“ von 1905 sah einen schnellen Vormarsch von 7 deutschen Armeen im Westen vor, durch Belgien nach Paris in 4 Wochen – „Wenn Sie nach Frankreich einmarschieren“, sagte er, „dann lassen Sie den rechten Flügelmann den Kanal mit seinem Ärmel streifen,“ bemerkte Schlieffen – dann Schwenk nach Osten und Sieg über die Russen. Der deutsche Generalstab rechnete damit, dass die russische Armee auf dem riesigen Gebiet mindestens 6 Wochen benötigen würde, bis sie kriegsbereit sei – was für eine große Fehleinschätzung! Während dieser Zeit wollte man im Westen Frankreich besiegen. Dazu war ein sehr schneller Vormarsch nötig, und der musste nach dieser Logik durch das neurale Belgien gehen, wie es auch geschah. Damit aber halste sich die deutsche Heeresleitung auch England als Gegner auf.)
10. August Abfahrt nach dem Krieg (= in den Krieg)*
11. “ Fahrt nach Frankreich
12. “ Ruhetag in Berndorf
13. “ “
14. “ “ Stadtkühl
15. “ Marsch
16. “ “ Odenwal
17. “ “ Werbemont
18. “ “ Lissamont
19. “ “ Lavad
20. “ “ Hingeon
21. “ “ Frank Wanet
22. “ Belagerung von Namur
23. Schlacht bei “
24. Ruhetag Bonnines
25. “ “
Marsch von Namur nach Aachen
In Aachen 1. Zug in Quartier
bei Fam. Adolf Meyer Aachen
Wilhelmstraße 90
* Karl hat auch als alter Mann in seinen Formlierungen den Krieg wie einen Ort behandelt – „he möss na’n Krieg“ (er musste zum Krieg); parallel konstruiert werden auch die Richtungsangaben z.B. „na Schoul“ oder „na Stadt“ („nach Schule“, „nach Stadt“ _ das haben früher die Kinder im Dorf noch in den 50er Jahre so gesagt.
Die ersten Gefechte
Karls Einheit war der 6. Armee unter Kronprinz Rupprecht von Bayern eingegliedert worden.
Hier schreibt er über die ersten Gefechte in Frankreich:
1. Schlacht bei Hingeon
am 20. August
Baier* erschossen Dorf abgebrannt
Frankfore Flieger
23. August Schlacht bei 3000 F.
Bonnines Fort erstürmt
________________
Bei Diedenhofen 21000 Franzosen
gefangen genommen
________________
Am 23. August Belfort gefallen
________________
45000 Mann gefangen
Die Schlacht um Hingeon und Namur ist auf wikipedia beschrieben (engl. Version).
* Baier: Bayer – die 3. Armee wurde von dem bayrischen Kronprinzen Rupprecht befehligt
________________________
Notizen zu Längenmaßen und zum Kaliber der Geschütze
Nach dem Gefecht bei Hingeon wurde die belgische Festung Namur belagert und nach drei Tagen eingenommen. Gegen Namur kamen schwerste Geschütze zum Einsatz, darunter auf Ersuchen des deutschen Generalstabs auch 4 Batterien mit österreichisch-ungarischen Geschützen der Marke Škoda. Vielleicht ist das der Anlass für seine Notizen geographischer und technischer Natur zu den großen Geschützen:
1 Artillerie Geschoß 42cm Durchm
15km nach 30 (unverständl.)
1 Meile 7 1/2 Kilometer
Krup (sic) Kanonen 60cm Durchm
36km Tragweite Eng 30km
(30km nach England von Calais aus? – 37 km sind es)
_____________________
Ein Geschoß von Dmm 42 kostet 35000 Mark
Schwere 14 Centner
Ein ???geschoß kostet dasselbe
Östreichische* (sic) Mörser 38cm Durchm
* „Östreichische“ / „Östreich“ heißt es immer, wohl weil man auf Plattdeutsch „Östriek“ sagt
____________________________________________
Weiterer Bericht über die Zeit zwischen dem Transport nach Frankreich bis zum Abmarsch nach Osten
Nach einigen unbeschriebenen Seiten erscheint ein weiterer Bericht über die Zeit zwischen dem Transport nach Frankreich bis zum Abmarsch nach Osten :
Am 1. August Nachts 1 Uhr Verladung
unserer Komp. auf dem Mo-
abiter Bahnhof. Fahrt über
Stendal Hannov. Minden
Hamm Barmen Cöln
Bonn bis Lissendorf ausgeladen
Quartier in Berndorf in
der Eifel.
Am 24. August Gefecht bei Hingeon
der Feind zog sich zurück
Am 23. August Fort Markorilette*
gefallen
Marsch durch Namur bis Vitrival
daselbst Befehl zum Rückmarsch
nach Rußland.
Von Vitrival bis Liege / bis Lüttich
marschiert am 28. August von Liege nach Bleiberg, von Bleiberg
nach Achen (sic)
* Marchovelette
Truppentransport per Bahn nach Ostpreußen
Am 31. August Nachmittags
3 Uhr aus Herzogenrath abgefahren nach Rußland *
Hamm Löhne Minden
Wunstorf Hannover Lehrte
Isenbütel Fallersleben
Oebisfelde Gardelegen
Berlin Bernau
Eberswalde Angermünde
Stettin Freinenwalde
Ruknow Dierschau Weichsel
Marienburg Mühlhausen**
3. Sept. Donnerstag angekommen
durch Mehlsack
10 Meilen vor Königsberg
durch Landsberg gekommen Markt (?)
In Pr. Eylau in Quartier gewesen
durch Friedland Russen gewesen
* (warum er über „Russland“ „Holland“ geschrieben hat, wird nicht klar; vielleicht will er nur darauf hinweisen, dass die Stadt Herzogenrath unmittelbar an der Grenze zu den neutralen Niederlanden liegt)
** (darunter steht klein: „umgeladen“)
_________________________________________
Ankunft in Ostpreußen, erste Gefechte mit den russischen Truppen
Am 31. August von Aachen nach Herzogenrath daselbst verladen
um 6 Uhr Abends.
Am 3. Sept. Morgens 9 Uhr
in Mühlhausen Ostpr.
ausgeladen. Am 6. Sept.
Quartier in Pr. Eylau.
Von Pr. Eylau nach Friedland
nach Schönbaum
Am 9. Sept. daselbst starkes
Artilleriegefecht
Am 10. Sept.
… hier bricht die Eintragung ab.
Offenbar wird Karls Einheit in die Schlacht an den Masurischen Seen (9. bis 14. September) verwickelt. Am 14. 9. nimmt er die Eintragungen wieder auf.
__________________________________
Karte: Ostpreußen, Truppenbewegungen
Wir hatten gelesen, dass Karls Einheit bis Preußisch Eylau marschiert waren. Weiter ging’s über Insterburg bis Tilsit; „Quartier in Labiau“, schreibt er.

Quelle: Carl Flemmings Generalkarten, No. 33: F. Handtke, Westliches Rußland (Polen). 10. Auflage. Berlin und Glogau o. J.
_________________________
Karte#1 – Marschroute (Marienburg, Mühlhausen – hier heißt es „umgeladen“, Mehlsack, Preußisch Eylau, Friedland)

Hier nun die erste Karte mit Straßen und Eisenbahntrassen – rot umkreist sind die Orte, die Karl benennt; Marienburg ist gerade noch auf dem Ausschnitt ganz im Westen, im Norden dann Labiau am Südufer des Kurischen Haffs und Tilsit ganz im Nordosten.
Quelle: Carl Flemmings Generalkarten, No. 33: F. Handtke, Westliches Rußland (Polen). 10. Auflage. Berlin und Glogau o. J.
Karte#2 – Ostpreußen und westliches Litauen (Überblick)

Quelle: Carl Flemmings Generalkarten, No. 33: F. Handtke, Westliches Rußland (Polen). 10. Auflage. Berlin und Glogau o. J.
___________________________
Nach den Gefechten in Ostpreußen und „Quartier in Labiau“ am 14. September sowie in Kuggen am 15. September Marschbefehl Richtung Süden. Russische Truppen sind bis tief in österreich-ungarisches Gebiet eingedrungen und haben große Teile Galiziens besetzt.
Deutsche Truppen werden zur Unterstützung herbeigerufen.
Marsch durch Ostpreußen bis ans Kurische Haff, dann südwärts über Oberschlesien nach Galizien
Links bei Königsberg vorbei
Rechts bei Insterburg vorbei 2 km
Russen eilige Flucht
In der Höhe von Tilsit 250000 Russen
Am 14. Sept. in Labiau in Quartier
Am 15. Quartier in Kuggen
Dienstag 5 Uhr (das war der 15.9.)
Fahrt über Braunsberg Elbing
Weichselbrücke 783 (?)
Marienburg Pr. Stargardt
Lissa Banitsch Brieg
Tarnowitz Donnerstag Abend 11 Uhr
(das ist jetzt der 17.9.)
19. Sept. in der Kaserne Reitende
Jäger eine Nacht in Quartier
Am 19. September Nachmittags 31/2 Uhr
die Russische Grenze überschritten
Am 20. In einer deutschen Fabrik
in Quartier Russisches Dorf
Am 21. Sept. Quartier “ “
__________________
Karte: Ostpreußen, Truppenbewegungen
Wir hatten gelesen, dass Karls Einheit bis Preußisch Eylau marschiert waren. Weiter ging’s über Insterburg bis Tilsit; „Quartier in Labiau“, schreibt er.

Quelle: Carl Flemmings Generalkarten, No. 33: F. Handtke, Westliches Rußland (Polen). 10. Auflage. Berlin und Glogau o. J.
Der geschulte Blick des Landwirts auf die Dörfer in Russisch-Polen
Man befindet sich nun in Südpolen, eine der ärmsten Regionen des westlichen Zarenreichs.
Dörfer schlecht, Häuser alles
mit Stroh und Holzschindel
gedeckt Mancherorts (?) selten
hölzerne Bohlen auf
geschichtet. Obstbäume
wilder. Land 1 Meter Stücke
Kühe klein und mager
Pferde dasselbe
In Russisch Polen die
Leute durchweg Juden
Straßen sehr schlecht u. sehr selten.
Häuser so mickrig das
mit der Hand das Dach zu
reichen ist. Boden sehr schlecht,
stellenweise wächst garnichts
Untergrund alles steinig.
______________________________
Lazarettaufenthalte, Autofahrt und immer schlechtere Verpflegung
Eine deutsche Gräfin hat uns hin
gefahren, hat sehr viel Gutes
an uns getan.
In Krakau Morgens Kaffe (sic) 2 Brötchen
10 Uhr Kakao Schinken 2 Brötchen
Mittags Fleisch Kartoffel Apfelbrei
1 Teller Suppe 2 Glas Apfelwein
—————-
In Mechow Morgens Kaffe 1 Brötchen
Mittags Fleisch und vier große Kartoffeln
Abends Teller Suppe
—————-
In Androschenof Morgens
Tee ohne Zucker 1 Stück trocken Brot
Mittags 1 Trinkbecher Gemüsekonserven
Abends Tee o. Z. 1 St. Brot
________________
Am 21. Oktober ist um mein
Bein ein Gips Veband gelegt,
es wurde mit Röntgenstrahlen
durchleuchtet und wurde fest-
gestellt, daß noch ein Riß
im Knochen war. Außerdem
das Schienbein gebrochen.
Am 2. November Wunde aufgemacht
war vereitert,
– Die Eintragung bricht hier ab. –
_____________________
Tiefe Verzweiflung – eine katholische Schwester spendet Trost
O Maria ohne Sünde em
pfangen bitte für uns die
wir zu dir unsere Zuflucht
suchen.
Den Spruch und Medaljon
von einer Katholischen
Schwester in schwerer Stunde
meines Lebens erhalten.
Harre meine Seele, harre
des Herrn, alles ihm befehle
hilft er doch so gern in
allen Stürmen in aller
Not wird er dich beschirmen
der treue Gott.
Wie mein Gott mich führet, so will ich
gehen, ohne selbst irgend wählen.
Dass er hervorhebt, dass es sich um eine katholische Schwester handelt, die ihm beisteht, ist wohl nur so zu erklären, dass es ja in seiner Heimat in der Lüneburger Heide keine Katholiken gab. Überdies war die Vokabel „getoulsch“ gleichbedeutuend mit „falsch“, „nicht vertrauenswürdig“. (Erst 1945 mit den Flüchtlingen kamen Katholiken aus Schlesien und Westpreußen in die Lüneburger Heide).
Österreich-Ungarn aber war katholisch geprägt, und die polnische Bevölkerung war es noch viel mehr. Das gilt auch für die Polen in der preußischen Provinz Posen-Westpreußen wie auch für Russisch-Polen, aber auch für die deutschprachige Bevölkerung dort.
__________________
Zwei Adressen von Krankenschwester und Pflegerin in schweren Stunden
Die Tagebucheinträge legen nahe, dass es sich bei Gräfin Gersdorff um die Gräfin handelte, die Müller und ihm „sehr viel Gutes“ getan hat. Und Helene Engelman wird die „katholische Schwester“ sein, die ihm „Spruch und Medaljon“ gegeben und ihm Trost gespendet hat.
Schwester Gräfin Marguerite Bernsdorf*
Krakau Postlagernd Hauptpostamt
*Dies wird Gräfin Gersdorff selbst geschrieben haben.
„Meine Pflegerin in schwersten Stunden“, schreibt Karl.
Helene Engelman in Krakau
ul. Staszica 8.*
*Namen und Adresse sind wohl von Frau Engelman geschrieben worden.
__________________________
Frau Engelman scheint auch die Adresse des Lazaretts in das Notizbuch geschrieben zu haben (s. rechts):
Krakau – Garnisonsspital No.15
Abteilung 2. Zimmer 6.
Bei GoogleEarth kann man das Haus an der Ulica Staszica Nr. 8 sehen – es ist nicht auszuschließen, dass hier die Pflegerin Helene Engelman gewohnt hat.
Karls kleine Währungstabelle:
Die deutsche Armee hatte fast ganz Belgien, große Teile Nordfrankreichs und Gebiete in Russisch-Polen besetzt. Hauptverbündeter war Österreich-Ungarn.
Die Soldaten kamen in den besetzten Gebieten natürlich mit der Bevölkerung zusammen, und sie hatten mit deren Geld zu tun. Vielleicht hat Karl deshalb eine Art Umrechnungstabelle angefertigt.
Östreiches (sic) Geld
1 Krone = 80 Pfg. (hier mit dem alten Symbol, das einem griechischen „Delta“ gleicht, geschrieben)
1 Kreuzer 2 Heller
3 Heller 2 Pfg.
————
Russisches Geld
1 Rubel = 2,16 M.
1 Kopeken = 1 Pfg.
————
Französches (sic) Geld
1 Frank = 85 Pfg.
4 Cent = 5 “
___________
Im Lazarett in Eger: Tod, Selbstmord, Selbstverstümmelungen, Hinrichtungen
Ende Oktober 1914 wird Karl ins böhmische Eger (heute Cheb in Tschechien) ins Lazarett verlegt. Er schreibt nur von schlimmsten Vorkommnissen. Einziger Lichtblick ist Frau Dr. Schubert mit „Cigarren und Cigaretten“.
Res. Spital Rudolfinum
Eger in Böhmen
Zimmer 2 b
II. 8 II/8
Das Rudolfinum in Eger (heute Cheb) war ein 1875 fertiggestelltes Schulgebäude, das nun als Lazarett genutzt wurde. 1999 wurde das Gebäude abgerissen.
In der Nacht auf den 15. Oktober
Kamerad Gärtner gestorben
hatte Lungenschuß . Inhaber
des Eisernen Kreuzes
Am 16. Oktober ein Östreicher gest.
Frau Doktor Schubert hat
täglich Cigarren und Cigaretten gespendet.
18 Östreicher und 2 Tiroler haben
sich selbst mit Absicht in die
Hand geschossen, wurden erhängt
Ein Wachtmeister in Eger aus
dem 2. Stock gesprungen gestorben
Verheiratet 4 Kinder
_____________
Transport von Krakau ins Lazarett Eger
Diese Notiz, die die Bahnstrecke des Verwundetentransports dokumentiert, hat nicht Karl geschrieben, sondern vielleicht eine der begleitenden Schwestern, vielleicht Helene Engelman (s.o.) – jedenfalls legt die Ähnlichkeit der Handschrift diese Vermutung nahe.
Krakau (26. Oktober,
5 Uhr nachmittags),
Oświęcim, Oderberg,
Prerau (27. Oktober, 6 bis
8 Uhr früh), Olmütz,
Böhmisch-Turau,
Pardubitz, Kolin,
Prag (28. Oktober,
1 Uhr nachts), Marien-
bad, Eger 1/2 1 Uhr
vormittags
28. Oktober
__________
Am 11.12.1914 Vormittags
10 Uhr aus Eger gefahren
Wiesau, Weiden, Regensburg,
Hof, Plauen, Reichenbach,
Altenburg, Leipzig, Halle
________________
Auf den letzten Seiten finden sich Adressen:
oben:
Franz Lindemann
Bln-Niederschönhausen
Kaiser Wilhelmstr.92
unten:
Gemeindepastor Döring
Cassel Wilhelmshöhe
Kunoldstr. 32
oben:
Musketier Eilers Wilhelm
Ilmenau/Thür. Teisstr. 1
unten:
Nikolaus Brandt
Oberlohma
b. Franzensbad
Böhmen
Wehrman (sic) Herm. Cohrs II.
2. Komp. Reserve Rgt. 208
22. Armeekorps
44. Division
_________
Wehrmann H. Drewes 6. Komp.
Reserve Regt. N. 208
22 Armee Korps
44. Division
_______________________________
Kanonier Sengstaake 13. Armeekorps
Fußartelerie (sic) Rgt. N. 13 .
1. Linien Baterie (sic)
_______________________________
Wehrmann H. Sengstacke
Res. Inf. Rgt. 28 12. Komp.
19. Res. Division 10. Res. Armeekorps
_______________________________
dann, kopfüber:
Thomas Rosser
L… Schürmann
K… Kreuzburg
_____________
Zur Veranschaulichung wieder eine Karte:
Karte#3 – Russisch Polen mit Warschau, ferner nördl. Galizien, Krakau (zu Österreich-Ungarn) und Breslau (Deutsches Reich)

Quelle: Carl Flemmings Generalkarten, No. 33: F. Handtke, Westliches Rußland (Polen). 10. Auflage. Berlin und Glogau o. J.
Am 26. August Brief von Etzen
Am 30. “ “ “ “
Am 30. August “ “ Frieda
___________________________
Am 22. + 23. (September) Marsch
Am 24. Quartier Pinzewit
Stadt Markt
Habe am 28. Sept. bei toschoff (Staszów?)*
eine Schrapnel Kugel durch
die linke Wade und einen
Streif Schuß durch den linken
Rockärmel (zwei Worte gestrichen)
am Seitengewehr abgeprallt
das linke Pferd** erschossen
gelegen in der Schule vom
28-2. Okt. Darauf 35 klm
(unleserlich) nach Mechow (richtig: Miechów)
gefahren von 10 Uhr bis 6 Uhr Uhr (sic)
Am Sonnabend 10. Okt. Müller
und ich im Auto nach Krakau gefahren
1/2 Stunde gefahren
*vermutlich Staszów, das ca. 35km von Miechów entfernt liegt
** Karl gehörte einer „bespannten Maschinengewehr-Einheit“ an – zwei Pferde bilden üblicherweise ein „Gespann“
Kartenausschnitt mit dem Operationsgebiet von Karls Einheit und dem Ort seiner Verwundung
Quelle: Carl Flemmings Generalkarten, No. 33: F. Handtke, Westliches Rußland (Polen). 10. Auflage. Berlin und Glogau o. J.
___________________
Ferner habe ich es gegliedert; hier sind die einzelnen Abschnitte:
> Notizen zur Person
> Truppentransport nach Westen – Belgien und Frankreich
> 10. August: Abfahrt „nach dem Krieg“
> Die ersten Gefechte
> Notizen zu Längeneinheiten und zum Kaliber der Geschütze
> 10. August: Abfahrt „nach dem Krieg“
> Weiterer Bericht über die Zeit zwischen dem Transport nach Frankreich bis zum Abmarsch nach Osten
> Truppentransport per Bahn nach Ostpreußen
> Karte Truppenbewegungen bis Tilsit
> Marsch durch Ostpreußen bis ans Kurische Haff, dann südwärts über Oberschlesien nach Galizien
> Der geschulte Blick des Landwirts auf die Dörfer in Russisch-Polen
> Ankunft in Ostpreußen, erste Gefechte mit den russischen Truppen
> Ostpreußen II und Verwundung
> Lazarettaufenthalte, Autofahrt und immer schlechtere Verpflegung
> Beschreibung der Verwundung und Komplikationen
> Tiefe Verzweiflung – eine katholische Schwester spendet Trost
> Zwei Adressen von Krankenschwester und Pflegerin in schweren Stunden
> Eine Währungstabelle
> Im Lazarett in Eger: Tod, Selbstmord, Selbstverstümmelungen, Hinrichtungen
> Transport von Krakau nach ins Lazarett Eger – 3 Tage im Zug
> Rückfahrt aus Eger
> Auf den letzten Seiten finden sich Adressen
Notizen zur Person:
Hier sehen wir Angaben zu Dienstgrad und Einheit, dann die Anschrift seiner Frau Frieda.
Wer Heinrich Röhrs ist, den er ganz unten nennt, wissen wir nicht. Vielleicht war er einer der wenigen, die Plattdeutsch sprachen; immerhin kam er aus dem Kreis Fallingbostel, war also auch Heidjer.
Reservist Karl Brammer
Maschinengewehrkomp.
III. Bataljon ??? Inf. Rgt.
6. Garde Division
Garde Reserve Korps
_______________________
Adr. nach Hause
Frau Frieda Brammer
Gr. Süstedt b. Gerdau
Kr. Uelzen Pr. Hann. (Kr.: Kreis; Pr.: Provinz)
__________________________
Heinrich Röhrs
Ostenholz b. Fallingbostel
L.I.R. ????
M.G.K. Reservist
Nr. 76 Karl Brammer
________________
Truppentransport nach Westen – Belgien und Frankreich
Am 5. August abgereist von der Heimat
“ 10. “ abgefahren von Berlin
über Rathenow Stendal
Obisfelde (Oebisfelde) Isenbüttel Gifhorn
Lehrte Hannover Minden
Portawestfalika Löhne
Herfort Bielefeld
Gütersloh Hamm Hagen
Barmen Elberfeld Obladen (Opladen)
Mülheim a. Reihn (sic). Cöln (sic)
Bonn Hillersheim (Eifel)
Am 11.+12. August
bei Jakob Müller
Am 13. August Statkül
Am 15. “ Krinkel
_____________________
10. August: Abfahrt „nach dem Krieg“
Ab dem 10. August ist fast jeder Tag verzeichnet. Nach 2 Ruhetagen in Bonnines wird die Einheit nach Osten verlegt. Denn wider Erwarten sind russische Truppen tief ins Reichsgebiet vormarschiert und hatten große Teile Ostpreußens besetzt. (Der „Schlieffenplan“ von 1905 sah einen schnellen Vormarsch von 7 deutschen Armeen im Westen vor, durch Belgien nach Paris in 4 Wochen – „Wenn Sie nach Frankreich einmarschieren“, sagte er, „dann lassen Sie den rechten Flügelmann den Kanal mit seinem Ärmel streifen,“ bemerkte Schlieffen – dann Schwenk nach Osten und Sieg über die Russen. Der deutsche Generalstab rechnete damit, dass die russische Armee auf dem riesigen Gebiet mindestens 6 Wochen benötigen würde, bis sie kriegsbereit sei – was für eine große Fehleinschätzung! Während dieser Zeit wollte man im Westen Frankreich besiegen. Dazu war ein sehr schneller Vormarsch nötig, und der musste nach dieser Logik durch das neurale Belgien gehen, wie es auch geschah. Damit aber halste sich die deutsche Heeresleitung auch England als Gegner auf.)
10. August Abfahrt nach dem Krieg (= in den Krieg)*
11. “ Fahrt nach Frankreich
12. “ Ruhetag in Berndorf
13. “ “
14. “ “ Stadtkühl
15. “ Marsch
16. “ “ Odenwal
17. “ “ Werbemont
18. “ “ Lissamont
19. “ “ Lavad
20. “ “ Hingeon
21. “ “ Frank Wanet
22. “ Belagerung von Namur
23. Schlacht bei “
24. Ruhetag Bonnines
25. “ “
Marsch von Namur nach Aachen
In Aachen 1. Zug in Quartier
bei Fam. Adolf Meyer Aachen
Wilhelmstraße 90
* Karl hat auch als alter Mann in seinen Formlierungen den Krieg wie einen Ort behandelt – „he möss na’n Krieg“ (er musste zum Krieg); parallel konstruiert werden auch die Richtungsangaben z.B. „na Schoul“ oder „na Stadt“ („nach Schule“, „nach Stadt“ _ das haben früher die Kinder im Dorf noch in den 50er Jahre so gesagt.
_________
Karls Einheit war der 6. Armee unter Kronprinz Rupprecht von Bayern eingegliedert worden.
Hier schreibt er über die ersten Gefechte in Frankreich:
1. Schlacht bei Hingeon
am 20. August
Baier* erschossen Dorf abgebrannt
Frankfore Flieger
23. August Schlacht bei 3000 F.
Bonnines Fort erstürmt
________________
Bei Diedenhofen 21000 Franzosen
gefangen genommen
________________
Am 23. August Belfort gefallen
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45000 Mann gefangen
Die Schlacht um Hingeon und Namur ist auf wikipedia beschrieben (engl. Version).
* Baier: Bayer – die 3. Armee wurde von dem bayrischen Kronprinzen Rupprecht befehligt
________________________
Notizen zu Längeneinheiten und zum Kaliber der Geschütze
Nach dem Gefecht bei Hingeon wurde die belgische Festung Namur belagert und nach drei Tagen eingenommen. Gegen Namur kamen schwerste Geschütze zum Einsatz, darunter auf Ersuchen des deutschen Generalstabs auch 4 Batterien mit österreichisch-ungarischen Geschützen der Marke Škoda. Vielleicht ist das der Anlass für seine Notizen geographischer und technischer Natur zu den großen Geschützen:
1 Artillerie Geschoß 42cm Durchm
15km nach 30 (unverständl.)
1 Meile 7 1/2 Kilometer
Krup (sic) Kanonen 60cm Durchm
36km Tragweite Eng 30km
(30km nach England von Calais aus? – 37 km sind es)
_____________________
Ein Geschoß von Dmm 42 kostet 35000 Mark
Schwere 14 Centner
Ein ???geschoß kostet dasselbe
Östreichische* (sic) Mörser 38cm Durchm
* „Östreichische“ / „Östreich“ heißt es immer, wohl weil man auf Plattdeutsch „Östriek“ sagt
____________________________________________
Weiterer Bericht über die Zeit zwischen dem Transport nach Frankreich bis zum Abmarsch nach Osten
Nach einigen unbeschriebenen Seiten erscheint ein weiterer Bericht über die Zeit zwischen dem Transport nach Frankreich bis zum Abmarsch nach Osten :
Am 1. August Nachts 1 Uhr Verladung
unserer Komp. auf dem Mo-
abiter Bahnhof. Fahrt über
Stendal Hannov. Minden
Hamm Barmen Cöln
Bonn bis Lissendorf ausgeladen
Quartier in Berndorf in
der Eifel.
Am 24. August Gefecht bei Hingeon
der Feind zog sich zurück
Am 23. August Fort Markorilette*
gefallen
Marsch durch Namur bis Vitrival
daselbst Befehl zum Rückmarsch
nach Rußland.
Von Vitrival bis Liege / bis Lüttich
marschiert am 28. August von Liege nach Bleiberg, von Bleiberg
nach Achen (sic)
* Marchovelette
____________________________
Truppentransport per Bahn nach Ostpreußen
Am 31. August Nachmittags
3 Uhr aus Herzogenrath abgefahren nach Rußland *
Hamm Löhne Minden
Wunstorf Hannover Lehrte
Isenbütel Fallersleben
Oebisfelde Gardelegen
Berlin Bernau
Eberswalde Angermünde
Stettin Freinenwalde
Ruknow Dierschau Weichsel
Marienburg Mühlhausen**
3. Sept. Donnerstag angekommen
durch Mehlsack
10 Meilen vor Königsberg
durch Landsberg gekommen Markt (?)
In Pr. Eylau in Quartier gewesen
durch Friedland Russen gewesen
* (warum er über „Russland“ „Holland“ geschrieben hat, wird nicht klar; vielleicht will er nur darauf hinweisen, dass die Stadt Herzogenrath unmittelbar an der Grenze zu den neutralen Niederlanden liegt)
** (darunter steht klein: „umgeladen“)
_________________________________________
Karte#1 – Marschroute (Marienburg, Mühlhausen – hier heißt es „umgeladen“, Mehlsack, Preußisch Eylau, Friedland)

Hier nun die erste Karte mit Straßen und Eisenbahntrassen – rot umkreist sind die Orte, die Karl benennt; Marienburg ist gerade noch auf dem Ausschnitt ganz im Westen, im Norden dann Labiau am Südufer des Kurischen Haffs und Tilsit ganz im Nordosten.
Quelle: Carl Flemmings Generalkarten, No. 33: F. Handtke, Westliches Rußland (Polen). 10. Auflage. Berlin und Glogau o. J.
Karte#2 – Ostpreußen und westliches Litauen (Überblick)

Quelle: Carl Flemmings Generalkarten, No. 33: F. Handtke, Westliches Rußland (Polen). 10. Auflage. Berlin und Glogau o. J.
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Ankunft in Ostpreußen, erste Gefechte mit den russischen Truppen
Am 31. August von Aachen nach Herzogenrath daselbst verladen
um 6 Uhr Abends.
Am 3. Sept. Morgens 9 Uhr
in Mühlhausen Ostpr.
ausgeladen. Am 6. Sept.
Quartier in Pr. Eylau.
Von Pr. Eylau nach Friedland
nach Schönbaum
Am 9. Sept. daselbst starkes
Artilleriegefecht
Am 10. Sept.
… hier bricht die Eintragung ab.
Offenbar wird Karls Einheit in die Schlacht an den Masurischen Seen (9. bis 14. September) verwickelt. Am 14. 9. nimmt er die Eintragungen wieder auf.
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Karte: Ostpreußen, Truppenbewegungen
Wir hatten gelesen, dass Karls Einheit bis Preußisch Eylau marschiert waren. Weiter ging’s über Insterburg bis Tilsit; „Quartier in Labiau“, schreibt er.

Quelle: Carl Flemmings Generalkarten, No. 33: F. Handtke, Westliches Rußland (Polen). 10. Auflage. Berlin und Glogau o. J.
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Nach den Gefechten in Ostpreußen und „Quartier in Labiau“ am 14. September sowie in Kuggen am 15. September Marschbefehl Richtung Süden. Russische Truppen sind bis tief in österreich-ungarisches Gebiet eingedrungen und haben große Teile Galiziens besetzt.
Deutsche Truppen werden zur Unterstützung herbeigerufen.
Marsch durch Ostpreußen bis ans Kurische Haff, dann südwärts über Oberschlesien nach Galizien
Links bei Königsberg vorbei
Rechts bei Insterburg vorbei 2 km
Russen eilige Flucht
In der Höhe von Tilsit 250000 Russen
Am 14. Sept. in Labiau in Quartier
Am 15. Quartier in Kuggen
Dienstag 5 Uhr (das war der 15.9.)
Fahrt über Braunsberg Elbing
Weichselbrücke 783 (?)
Marienburg Pr. Stargardt
Lissa Banitsch Brieg
Tarnowitz Donnerstag Abend 11 Uhr
(das ist jetzt der 17.9.)
19. Sept. in der Kaserne Reitende
Jäger eine Nacht in Quartier
Am 19. September Nachmittags 31/2 Uhr
die Russische Grenze überschritten
Am 20. In einer deutschen Fabrik
in Quartier Russisches Dorf
Am 21. Sept. Quartier “ “
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Der geschulte Blick des Landwirts auf die Dörfer in Russisch-Polen
Man befindet sich nun in Südpolen, eine der ärmsten Regionen des westlichen Zarenreichs.
Dörfer schlecht, Häuser alles
mit Stroh und Holzschindel
gedeckt Mancherorts (?) selten
hölzerne Bohlen auf
geschichtet. Obstbäume
wilder. Land 1 Meter Stücke
Kühe klein und mager
Pferde dasselbe
In Russisch Polen die
Leute durchweg Juden
Straßen sehr schlecht u. sehr selten.
Häuser so mickrig das
mit der Hand das Dach zu
reichen ist. Boden sehr schlecht,
stellenweise wächst garnichts
Untergrund alles steinig.
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Ich füge hier wieder eine Karte ein:
Karte#3 – Russisch Polen mit Warschau, ferner nördl. Galizien, Krakau (zu Österreich-Ungarn) und Breslau (Deutsches Reich)

Quelle: Carl Flemmings Generalkarten, No. 33: F. Handtke, Westliches Rußland (Polen). 10. Auflage. Berlin und Glogau o. J.
Am 26. August Brief von Etzen
Am 30. “ “ “ “
Am 30. August “ “ Frieda
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Am 22. + 23. (September) Marsch
Am 24. Quartier Pinzewit
Stadt Markt
Habe am 28. Sept. bei toschoff (Staszów?)*
eine Schrapnel Kugel durch
die linke Wade und einen
Streif Schuß durch den linken
Rockärmel (zwei Worte gestrichen)
am Seitengewehr abgeprallt
das linke Pferd** erschossen
gelegen in der Schule vom
28-2. Okt. Darauf 35 klm
(unleserlich) nach Mechow (richtig: Miechów)
gefahren von 10 Uhr bis 6 Uhr Uhr (sic)
Am Sonnabend 10. Okt. Müller
und ich im Auto nach Krakau gefahren
1/2 Stunde gefahren
*vermutlich Staszów, das ca. 35km von Miechów entfernt liegt
** Karl gehörte einer „bespannten Maschinengewehr-Einheit“ an – zwei Pferde bilden üblicherweise ein „Gespann“
Kartenausschnitt mit dem Operationsgebiet von Karls Einheit und dem Ort seiner Verwundung
Quelle: Carl Flemmings Generalkarten, No. 33: F. Handtke, Westliches Rußland (Polen). 10. Auflage. Berlin und Glogau o. J.
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Lazarettaufenthalte, Autofahrt und immer schlechtere Verpflegung
Eine deutsche Gräfin hat uns hin
gefahren, hat sehr viel Gutes
an uns getan.
In Krakau Morgens Kaffe (sic) 2 Brötchen
10 Uhr Kakao Schinken 2 Brötchen
Mittags Fleisch Kartoffel Apfelbrei
1 Teller Suppe 2 Glas Apfelwein
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In Mechow Morgens Kaffe 1 Brötchen
Mittags Fleisch und vier große Kartoffeln
Abends Teller Suppe
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In Androschenof Morgens
Tee ohne Zucker 1 Stück trocken Brot
Mittags 1 Trinkbecher Gemüsekonserven
Abends Tee o. Z. 1 St. Brot
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Am 21. Oktober ist um mein
Bein ein Gips Veband gelegt,
es wurde mit Röntgenstrahlen
durchleuchtet und wurde fest-
gestellt, daß noch ein Riß
im Knochen war. Außerdem
das Schienbein gebrochen.
Am 2. November Wunde aufgemacht
war vereitert,
– Die Eintragung bricht hier ab. –
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Tiefe Verzweiflung – eine katholische Schwester spendet Trost
O Maria ohne Sünde em
pfangen bitte für uns die
wir zu dir unsere Zuflucht
suchen.
Den Spruch und Medaljon
von einer Katholischen
Schwester in schwerer Stunde
meines Lebens erhalten.
Harre meine Seele, harre
des Herrn, alles ihm befehle
hilft er doch so gern in
allen Stürmen in aller
Not wird er dich beschirmen
der treue Gott.
Wie mein Gott mich führet, so will ich
gehen, ohne selbst irgend wählen.
Dass er hervorhebt, dass es sich um eine katholische Schwester handelt, die ihm beisteht, ist wohl nur so zu erklären, dass es ja in seiner Heimat in der Lüneburger Heide keine Katholiken gab. Überdies war die Vokabel „getoulsch“ gleichbedeutuend mit „falsch“, „nicht vertrauenswürdig“. (Erst 1945 mit den Flüchtlingen kamen Katholiken aus Schlesien und Westpreußen in die Lüneburger Heide).
Österreich-Ungarn aber war katholisch geprägt, und die polnische Bevölkerung war es noch viel mehr. Das gilt auch für die Polen in der preußischen Provinz Posen-Westpreußen wie auch für Russisch-Polen, aber auch für die deutschprachige Bevölkerung dort.
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Zwei Adressen von Krankenschwester und Pflegerin in schweren Stunden
Die Tagebucheinträge legen nahe, dass es sich bei Gräfin Gersdorff um die Gräfin handelte, die Müller und ihm „sehr viel Gutes“ getan hat. Und Helene Engelman wird die „katholische Schwester“ sein, die ihm „Spruch und Medaljon“ gegeben und ihm Trost gespendet hat.
Schwester Gräfin Marguerite Bernsdorf*
Krakau Postlagernd Hauptpostamt
*Dies wird Gräfin Gersdorff selbst geschrieben haben.
„Meine Pflegerin in schwersten Stunden“, schreibt Karl.
Helene Engelman in Krakau
ul. Staszica 8.*
*Namen und Adresse sind wohl von Frau Engelman geschrieben worden.
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Frau Engelman scheint auch die Adresse des Lazaretts in das Notizbuch geschrieben zu haben (s. rechts):
Krakau – Garnisonsspital No.15
Abteilung 2. Zimmer 6.
Bei GoogleEarth kann man das Haus an der Ulica Staszica Nr. 8 sehen – es ist nicht auszuschließen, dass hier die Pflegerin Helene Engelman gewohnt hat.
Karls kleine Währungstabelle:
Die deutsche Armee hatte fast ganz Belgien, große Teile Nordfrankreichs und Gebiete in Russisch-Polen besetzt. Hauptverbündeter war Österreich-Ungarn.
Die Soldaten kamen in den besetzten Gebieten natürlich mit der Bevölkerung zusammen, und sie hatten mit deren Geld zu tun. Vielleicht hat Karl deshalb eine Art Umrechnungstabelle angefertigt.
Östreiches (sic) Geld
1 Krone = 80 Pfg. (hier mit dem alten Symbol, das einem griechischen „Delta“ gleicht, geschrieben)
1 Kreuzer 2 Heller
3 Heller 2 Pfg.
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Russisches Geld
1 Rubel = 2,16 M.
1 Kopeken = 1 Pfg.
————
Französches (sic) Geld
1 Frank = 85 Pfg.
4 Cent = 5 “
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Im Lazarett in Eger: Tod, Selbstmord, Selbstverstümmelungen, Hinrichtungen
Ende Oktober 1914 wird Karl ins böhmische Eger (heute Cheb in Tschechien) ins Lazarett verlegt. Er schreibt nur von schlimmsten Vorkommnissen. Einziger Lichtblick ist Frau Dr. Schubert mit „Cigarren und Cigaretten“.
Res. Spital Rudolfinum
Eger in Böhmen
Zimmer 2 b
II. 8 II/8
Das Rudolfinum in Eger (heute Cheb) war ein 1875 fertiggestelltes Schulgebäude, das nun als Lazarett genutzt wurde. 1999 wurde das Gebäude abgerissen.
In der Nacht auf den 15. Oktober
Kamerad Gärtner gestorben
hatte Lungenschuß . Inhaber
des Eisernen Kreuzes
Am 16. Oktober ein Östreicher gest.
Frau Doktor Schubert hat
täglich Cigarren und Cigaretten gespendet.
18 Östreicher und 2 Tiroler haben
sich selbst mit Absicht in die
Hand geschossen, wurden erhängt
Ein Wachtmeister in Eger aus
dem 2. Stock gesprungen gestorben
Verheiratet 4 Kinder
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Transport von Krakau nach ins Lazarett Eger –
Diese Notiz, die die Bahnstrecke des Verwundetentransports dokumentiert, hat nicht Karl geschrieben, sondern vielleicht eine der begleitenden Schwestern, vielleicht Helene Engelman (s.o.) – jedenfalls legt die Ähnlichkeit der Handschrift diese Vermutung nahe.
Krakau (26. Oktober,
5 Uhr nachmittags),
Oświęcim, Oderberg,
Prerau (27. Oktober, 6 bis
8 Uhr früh), Olmütz,
Böhmisch-Turau,
Pardubitz, Kolin,
Prag (28. Oktober,
1 Uhr nachts), Marien-
bad, Eger 1/2 1 Uhr
vormittags
28. Oktober
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Am 11.12.1914 Vormittags
10 Uhr aus Eger gefahren
Wiesau, Weiden, Regensburg,
Hof, Plauen, Reichenbach,
Altenburg, Leipzig, Halle
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Auf den letzten Seiten finden sich Adressen:
oben:
Franz Lindemann
Bln-Niederschönhausen
Kaiser Wilhelmstr.92
unten:
Gemeindepastor Döring
Cassel Wilhelmshöhe
Kunoldstr. 32
oben:
Musketier Eilers Wilhelm
Ilmenau/Thür. Teisstr. 1
unten:
Nikolaus Brandt
Oberlohma
b. Franzensbad
Böhmen
Wehrman (sic) Herm. Cohrs II.
2. Komp. Reserve Rgt. 208
22. Armeekorps
44. Division
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Wehrmann H. Drewes 6. Komp.
Reserve Regt. N. 208
22 Armee Korps
44. Division
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Kanonier Sengstaake 13. Armeekorps
Fußartelerie (sic) Rgt. N. 13 .
1. Linien Baterie (sic)
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Wehrmann H. Sengstacke
Res. Inf. Rgt. 28 12. Komp.
19. Res. Division 10. Res. Armeekorps
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dann, kopfüber:
Thomas Rosser
L… Schürmann
K… Kreuzburg
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