Anna Emma Thyra Alberdine Stuhtmann, geb. Wolter (* 12. Januar 1880, † 1. August 1964) stammte aus der Ravener Schule; ihr Vater war Lehrer, Kantor, Organist und Küster gewesen (“Köster Wolter”). 1905 heiratete sie auf den Stuhtmannschen Hof. Anlässlich ihrer Verlobung hat sie einen Brief von ihrer Freundin Marie („auf dem Rütherhof genannt ‚Hörnchen‘)“, erhalten, wie sie schreibt.
Sehr wahrscheinlich auf ihre Veranlassung hin wurde der große Flur mit dem charakteristischen gelb-dunkelgrauen Muster gefliest, mit diagonal verlegten Fliesen in schwarz-gelb, hergestellt von Firma Utzschneider & Jaurez aus Saargemünd.
Am 1. November 1906 brachte sie ihre Tochter Käthe zur Welt. Diese verstarb schon 1924 mit 17 Jahren. Tante Emma trug seither bis zu ihrem Tode 40 Jahre später nur schwarz. Ursel sagte: “Sei het jümmer ‘n oole Frou wän. Anners hef ick iar guar nich kennt.” (Sie ist immer eine alte Frau gewesen. Anders habe ich sie auch gar nicht gekannt.)
Für uns Kinder war sie, die Altenteilerin, unsere “Oma”, und zu uns war sie immer ausgesprochen großzügig, steckte uns Geld zu und kleine Geschenke. Ursel gegenüber spielte sie sich aber immer wieder als Herrin des Hauses auf. Sie ließ Ursel wissen: „’n Hoff to kriegen, dat is ööch. ’n Hoff to hemm‘, dua hört wat tau.“ „Einen Hof zu kriegen, das ist leicht. Einen Hof zu (er-)halten, dazu gehört was.“ Ursel war ja nun, wie Gustav es eingefädelt hatte, die Hoferbin. Wenn Besuch kam, musste Ursel nach oben in ihre Kammer. Gustav brachte ihr öfters ein Stück Kuchen oder ein Rundstück mit Honnich (ein Honigbrötchen) und eine Tasse Kaffee nach oben.
Und Emma war sehr fromm. Sie ging, so lange sie es noch konnte, jeden Sonntag und jeden Feiertag in die Kirche. Nach einem uralten Gesetz war die 3. Reihe links (von der Kanzel aus) die Reihe, die zum Hof gehörte. Man erzählt, dass einmal ein „Sommergast“ (ein Tourist) aus Hamburg da auf Emmas oder Gustavs Platz gesessen hat. Emma aber habe sich auf dessen Schoß gesetzt. Auf dessen verwunderte Frage, was ihr denn einfalle (die Kirche war allenfalls halbvoll) entgegnete sie: „Sie haben hier nichts zu suchen. Das ist unser Platz. Wir sitzen hier seit 700 Jahren.“
Emmas Religiosität war eine sehr strenge; für sie war „der liebe Gott“ einer, der unerbittlich strafte. Vor Gewitter hatte sie furchtbare Angst und fing sofort zu beten an: „Wenn es gewittert, ist der liebe Giott erzürnt.“
Als im August 1959 das Haus von Friedrich Hedder („de Beitjer“) durch Blitzschlag abbrannte, war ihr klar, woran das lag: Er war Weihnachten nicht in der Kirche gewesen …
Emma war außerordentlich belesen. Und einer ihrer Freunde war Dr. Friedrich Ehlermann aus Salzhausen, ein anderer Eduard Wildhagen, der eine Kolumne im „Hamburger Abendblatt“ hatte. Sie verfolgte genau, was sich in der Politik tat. Mir ist noch in Erinnerung, wie sie weinte, als der ehem. Bundespräsident Heuss starb. (Als Kind hatte sie erlebt, wie im „Drei-Kaiser-Jahr“ 1888 erst Kaiser Wilhelm I. starb, dann 99 Tage später dessen Sohn Friedrich III., auf den dann Wilhelm II. folgte.)
1961 kaufte sie sich einen Fernseher. Als John F. Kennedy im Juni 1963 Berlin besichte, habe ich das mit ihr am Fernseher verfolgt. Und als am 22. Noevmber 1963, es war Hans‘ Geburtstag, Kennedy erschossen worden war, da riss sie die Stubentür auf und rief: „Kommt schnell an den Fernseher, Kennedy haben sie erschossen.“
Hier kommen ein paar Bilder mit ihrem Bruder Julius, ihrer Schwägerin Klara Wolter sowie ihrer Nichte Senta Kieß, außerdem Emma Wolter als junge Frau.
„Im Frühjahr 1905, vielleicht zu Ostern (1905 war das am 23./24. April) haben sich Emma Wolter, Tochter des Küsters, Kantors und Schulmeisters Wolter in Raven, und Gustav Stuhtmann, Landwirt auf dem Hof Nr. 1 verlobt. Emmas Freundin Marie („auf dem Rüterhof genannt ‚Hörnchen'“, wie sie selbst schreibt), die gerade in Bremen weilt, hat davon erfahren und schreibt ihr.
Den Wortlaut des Briefes habe ich aus Sütterlin transkribiert.
Unten ist das Original im Faksimile – man beachte das Rosenmuster und die Prägung auf dem Papier.
Bremen, 17.05.
1905
Meine liebe gute Emma!
Im Geiste reiche ich dir die Hand u. sage dir meine innigsten Segenswünsche. Du hast mich wirklig (sic) sehr überrascht.
Denn ich hatte wirklich keine blasse Ahnung. Nun wünsche ich dir, mein liebes Mädchen, von Herzen alles Gute. Mögest du recht glücklich und zufrieden werden! Gerne hätte ich persönlich gratuliert, doch leider ist mir dieses nicht vergönnt. Doch hoffe ich, deinen Verlobten später einmal kennen zu lernen. Nun sag mir mal; kenne ich denn deinen Schatz? Ein junger Mensch namens Stuhtmann, war früher mal auf einer Hochzeit in Soderstorf mein Tischherr, wie er mit Vornamen geheißen hat, weiß ich nicht, ist derselbe vielleicht der Glückliche? Ich möchte es doch ganz gerne einmal wissen, sobald du irgend Zeit hast, schreibe mir doch einmal, natürlich auch deine Liebesgeschichten. Bitte, bitte, liebe Emma! Schreibe bald. Nun l. Emma will ich schließen. Ich freue mich schon auf meine Heimreise, vielleicht gehe ich zum Herbste für immer aus Bremen, um immer wieder andere Luft zu genießen. Grüße deine lieben guten Eltern u. sage ihnen von mir die herzlichsten Glückwünsche. Nun lebe wohl liebe Emma u. sei herzlich gegrüßt von Deiner
treuen Freundin Marie
Im Rüterhof genannt
Frl. Hörnchen
Deine Zukunft werde rosig
So wie dieses Briefpapier d.O.
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Christa, Tante Senta – Senta Kieß, geb. Wolter aus Hannover, „Oma“ Tante Emma, Klara Wolter, ihre Schwägerin aus Hannover, die erblindet war
Julius Wolter, Organist und Kantor an seinem Flügel. Julius war Emmas Bruder und stammte wie sie aus dem Ravener Schulhaus. Beider Vater war „Köster“ Wolter.
Der Organist Julius Wolter, Emmas Bruder in seiner Hannoveraner Wohnung am Klavier – Steinweg Nachf. Seine Nichte Käthe auf dem Hof in Raven hatte ein Bechstein-Klavier, mit Intarsien-Schrift: „Bechstein Dresden 1912“, Kerzenhalter an den Seiten. Es stand seit 1924 in der unbeheizten Kammer, war ganz verstimmt.
Ich habe darauf Adventslieder für Oma (Tante Emma) gespielt. Helmut sen. hat es 1983 für 500 Mark vertickt – “Dat ole Deiet steiht sick je bloß geputt” / „Das alte Ding („Tier“) steht sich doch bloß kaputt.“
Sehr, sehr schade.