Kriegstagebuch 1914
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- Kategorie: Krieg
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Schon am 2. August 1914, das ist der 1. Mobilisierungstag gerade einen Tag nach der deutschen Kriegserklärung an Russland, wurde Karl mobilisiert, und am 5. August war er wieder in Berlin. Dort lässt er ein Foto anfertigen - das haben viele Soldaten für ihre Angehörigen getan. (Von seinem Bruder Hermann existiert ebenfalls ein Foto aus Munsterlager, abgelichtet in voller Ausrüstung.)
Am 10. rückte Karls Einheit nach Westen ab und wurde in Lothringen und in Belgien in schwere Kämpfe verwickelt. Ende August wurde sie nach Ostpreußen verlegt, dann nach Galizien (damals eine Provinz Österreich-Ungarns, heute Südpolen), nachdem die Österreicher eine russische Offensive nicht hatten abwehren können. Im Herbst 1914 wurde er schwer verwundet; ein Schrapnell durchschlug sein Bein.
All dieses Geschehen hat er in seinem Notizbuch aufgezeichnet, manchmal mit unglaublicher Genauigkeit, wenn es um Ortschaften oder Uhrzeiten ging. Hier kommen nun Auszüge aus diesem handlichen Notizbüchlein, das in jede Hosen- oder Jackentache passte (aufgeschlagen gerade 18x15cm misst, Format kariert).
Ich habe das Tagebuch gegliedert; hier sind die einzelnen Abschnitte:
> Notizen zur Person
> Truppentransport nach Westen - Belgien und Frankreich
> 10. August: Abfahrt "nach dem Krieg"
> Die ersten Gefechte
> Notizen zu Längeneinheiten und zum Kaliber der Geschütze
> 10. August: Abfahrt "nach dem Krieg"
> Weiterer Bericht über die Zeit zwischen dem Transport nach Frankreich bis zum Abmarsch nach Osten
> Truppentransport per Bahn nach Ostpreußen
> Marsch durch Ostpreußen bis ans Kurische Haff, dann südwärts über Oberschlesien nach Galizien
> Der geschulte Blick des Landwirts auf die Dörfer in Russisch-Polen
> Ankunft in Ostpreußen, erste Gefechte mit den russischen Truppen
> Ostpreußen II und Verwundung
> Lazarettaufenthalte, Autofahrt und immer schlechtere Verpflegung
> Beschreibung der Verwundung und Komplikationen
> Tiefe Verzweiflung - eine katholische Schwester spendet Trost
> Zwei Adressen von Krankenschwester und Pflegerin in schweren Stunden
> Eine Währungstabelle
> Im Lazarett in Eger: Tod, Selbstmord, Selbstverstümmelungen, Hinrichtungen
> Transport von Krakau nach ins Lazarett Eger - 3 Tage im Zug
> Rückfahrt aus Eger
> Auf den letzten Seiten finden sich Adressen
Notizen zur Person: |
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Hier sehen wir Angaben zu Dienstgrad und Einheit, dann die Anschrift seiner Frau Frieda. |
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Linke Seite: Reservist Karl Brammer Heinrich Röhrs |
Truppentransport nach Westen - Belgien und Frankreich |
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Am 5. August abgereist von der Heimat " 10. " abgefahren von Berlin über Rathenow Stendal Obisfelde Isenbüttel Gifhorn Lehrte Hannover Minden Portawestfalika Löhne Herfort Bielefeld Gütersloh Hamm Hagen Barmen Elberfeld Obladen Mülheim a. Reihn (sic). Cöln Bonn Hillersheim (Eifel) Am 11.+12. August bei Jakob Müller Am 13. August Statkül Am 15. " Krinkel |
10. August: Abfahrt "nach dem Krieg" |
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Ab dem 10. August ist fast jeder Tag verzeichnet. Nach 2 Ruhetagen in Bonnines wird die Einheit nach Osten verlegt. Denn wider Erwarten sind russische Truppen tief ins Reichsgebiet vormarschiert und hatten große Teile Ostpreußens besetzt. (Der "Schlieffenplan" von 1905 sah einen schnellen Vormarsch von 7 deutschen Armeen im Westen vor, durch Belgien nach Paris in 4 Wochen - "Wenn Sie nach Frankreich einmarschieren", sagte er, "dann lassen Sie den rechten Flügelmann den Kanal mit seinem Ärmel streifen," bemerkte Schlieffen - dann Schwenk nach Osten und Sieg über die Russen. Der deutsche Generalstab rechnete damit, dass die russische Armee auf dem riesigen Gebiet mindestens 6 Wochen benötigen würde, bis sie kriegsbereit sei - was für eine große Fehleinschätzung! Während dieser Zeit wollte man im Westen Frankreich besiegen. Dazu war ein sehr schneller Vormarsch nötig, und der musste nach dieser Logik durch das neurale Belgien gehen, wie es auch geschah. Damit aber halste sich die deutsche Heeresleitung auch England als Gegner auf.) | |
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10. August Abfahrt nach dem Krieg* In Aachen 1. Zug in Quartier
* Karl hat auch als alter Mann in seinen Formlierungen den Krieg wie einen Ort behandelt - "he möss na'n Krieg" (er musste zum Krieg); parallel konstruiert werden auch die Richtungsangaben z.B. "na Schoul" oder "na Stadt" ("nach Schule", "nach Stadt" _ das haben früher die Kinder im Dorf noch in den 50er Jahre so gesagt. |
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Karls Einheit war der 6. Armee unter Kronprinz Rupprecht von Bayern eingegliedert worden. Hier schreibt er über die ersten Gefechte in Frankreich: |
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1. Schlacht bei Hingeon 23. August Schlacht bei 3000 F. Am 23. August Belfort gefallen
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Nach dem Gefecht bei Hingeon wurde die belgische Festung Namur belagert und nach drei Tagen eingenommen. Gegen Namur kamen schwerste Geschütze zum Einsatz, darunter auch ausgeliehene österreichische. Vielleicht ist das der Anlass für seine Notizen geographischer und technischer Natur zu den großen Geschützen gemacht: | |
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1 Artillerie Geschoß 42cm Durchm 1 Meile 7 1/2 Kilometer Krup (sic) Kanonen 60cm Durchm 36km Tragweite Eng 30km
_____________________ Ein ???geschoß kostet dasselbe Östreichische* (sic) Mörser 38cm Durchm
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* "Östreichische" / "Östreich" heißt es immer, wohl weil man auf Plattdeutsch "Östriek" sagt. |
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Nach einigen unbeschriebenen Seiten erscheint ein weiterer Bericht über die Zeit zwischen dem Transport nach Frankreich bis zum Abmarsch nach Osten : | |
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Am 1. August Nachts 1 Uhr Verladung * Marchovelette |
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Am 31. August Nachmittags 3. Sept. Donnerstag angekommen |
* (warum er über "Russland" "Holland" geschrieben hat, wird nicht klar; vielleicht will er nur darauf hinweisen, dass die Stadt Herzogenrath unmittelbar an der Grenze zu den neutralen Niederlanden liegt) ** (darunter steht klein: "umgeladen") |
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Ankunft in Ostpreußen, erste Gefechte mit den russischen Truppen |
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Am 31. August von Aachen nach Herzogenrath daselbst verladen ... hier bricht die Eintragung ab. Offenbar wird Karls Einheit in die Schlacht an en Masurischen Sen (9. bis 14. September) verwickelt. Am 14. 9. nimmt er die Eintragungen wieder auf. |
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Am 15. Quartier in Kuggen |
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Dörfer schlecht, Häuser alles mit Stroh und Holzschindel gedeckt Mancherorts (?) selten hölzerne Bohlen auf geschichtet. Obstbäume wilder. Land 1 Meter Stücke Kühe klein und mager Pferde dasselbe In Russisch Polen die Leute durchweg Juden Straßen sehr schlecht u. sehr selten. Häuser so mickrig das mit der Hand das Dach zu reichen ist. Boden sehr schlecht, stellenweise wächst garnichts Untergrund alles steinig. |
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Ostpreußen II , Abmarsch nach Galizien und Verwundung |
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Am 26. August Brief von Etzen |
Kartenausschnitt mit dem Operationsgebiet von Karls Einheit und dem Ort seiner Verwundung |
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Eine deutsche Gräfin hat uns hin ______________ In Mechow Morgens Kaffe 1 Brötchen ______________ In Androschenof Morgens ______________ |
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Am 21. Oktober ist um mein
- Die Eintragung bricht hier ab. - |
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Tiefe Verzweiflung - eine katholische Schwester spendet Trost |
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O Maria ohne Sünde em pfangen bitte für uns die wir zu dir unsere Zuflucht suchen. Den Spuch und Medaljon von einer Katholischen Schwester in schwerer Stunde meines Lebens erhalten. Harre meine Seele, harre des Herrn, alles ihm befehle hilft er doch so gern in allen Stürmen in aller Not wird er dich beschirmen der treue Gott. Wie mein Gott mich führet, so will ich gehen, ohne selbst irgend wählen. |
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Dass er hervorhebt, dass es sich um eine katholische Schwester handelt, die ihm beisteht, ist wohl nur so zu erklären, dass es ja in seiner Heimat in der Lüneburger Heide keine Katholiken gab. Überdies war die Vokabel "getoulsch" gleichbedeutuend mit "falsch", "nicht vertrauenswürdig". (Erst 1945 mit den Flüchtlingen kamen Katholiken aus Schlesien und Westpreußen in die Lüneburger Heide). Österreich-Ungarn aber war katholisch geprägt, und die polnische Bevölkerung war es noch viel mehr. Das gilt auch für die Polen in der preußischen Provinz Posen-Westpreußen wie auch für Russisch-Polen, aber auch für die deutschprachige Bevölkerung dort. |
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Die Tagebucheinträge legen nahe, dass es sich bei Gräfin Gersdorff um die Gräfin handelte, die Müller und ihm "sehr viel Gutes" getan hat. Und Helene Engelman wird die "katholische Schwester" sein, die ihm "Spruch und Medaljon" gegeben und ihm Trost gespendet hat. | |
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Schwester Gräfin Marguerite Bernsdorf* *Dies wird Gräfin Gersdorff selbst geschrieben haben. |
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Frau Engelman scheint auch die Adresse des Lazaretts in das Notizbuch geschrieben zu haben (s. rechts): Krakau - Garnisonsspital No.15 Abteilung 2. Zimmer 6. |
Bei GoogleEarth kann man das Haus an der ulica Staszica Nr. 8 sehen - es ist nicht auszuschließen, dass hier die Pflegerin Helene Engelman gewohnt hat. | |
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Die deutsche Armee hatte fast ganz Belgien, große Teile Nordfrankreichs und Gebiete in Russisch-Polen besetzt. Hauptverbündeter war Österreich-Ungarn. |
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Östreiches (sic) Geld 1 Krone = 80 Pfg. (hier mit dem alten Symbol, das einem griechischen "Delta" gleicht, geschrieben) _______________ Russisches Geld Französches (sic) Geld 1 Frank = 85 Pfg. |
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Ende Oktober 1914 wird Karl nach Eger (heute Cheb in Tschechien) ins Lazarett verlegt. Er schreibt nur von schlimmsten Vorkommnissen. Einziger Lichtblick ist Frau Dr. Schubert mit "Cigarren und Cigaretten". |
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Res. Spital Rudolfinum |
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In der Nacht auf den 15. Oktober
18 Östreicher und 2 Tiroler haben
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Diese Notiz, die die Bahnstrecke des Verwundetentransports dokumentiert, hat nicht Karl geschrieben, sondern vielleicht eine der begleitenden Schwestern, vielleicht Helene Engelman (s.o.) - jedenfalls legt die Ähnlichkeit der Handschrift diese Vermutung nahe. Krakau (26. Oktober, |
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Am 11.12.1914 Vormittags 10 Uhr aus Eger gefahren Wiesau, Weiden, Regensburg, Hof, Plauen, Reichenbach, Altenburg, Leipzig, Halle |
Auf den letzten Seiten finden sich Adressen: |
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Franz Lindemann Bln-Niederschönhausen Kaiser Wilhelmstr.92 |
Gemeindepastor Döring Cassel Wilhelmshöhe Kunoldstr. 32 |
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Musketier Eilers Wilhelm Ilmenau/Thür. Teisstr. 1 |
Nikolaus Brandt Oberlohma b. Franzensbad Böhmen |
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Wehrman (sic) Herm. Cohrs II. Wehrmann H. Drewes 6. Komp. Kanonier Sengstaake 13. Armeekorps dann, kopfüber: |
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