Am 9. August 1945 ist Helmut aus US-amerikanischer Kriegsgefangenschaft zu Hause in Etzen angekommen.
Während seiner Zeit in Gefangenschaft hat er Tagebuch geführt. Neben den obligatorischen Wetteraufzeicnungen für fast jeden Tag hat er besondere Vorkommnisse notiert - etwa dass er mit Brettern eine Grube gegraben hatte, um sich da hineinzulegen, die Nachricht von Hitlers Selbstmord ("gefallen") oder das gemeinsame Rauchen einer Zigarette.
Seine Einheit war im Frühjahr 1945 nach Ulm verlegt worden. Als es Ende April hieß, sie werde noch Berlin zwecks Verteidigung der "Reichshauptstadt" abkommandiert, während die Armee der Sowjetunion den Belagerungsring zu schließen begann, hat sich sein Zug dem ersten Soldaten der US-Army, den sie sahen, ergeben.
Das war am 28. April.
Nun folgen Scans aus diesem Tagebuch, beginnend mit dem 1. März 1945 und endend mit dem 9. August - zu Hause! Danach finden sich Adressen und Namen sowie ein Gedicht voller Heimweh. Nicht in dem Notizbuch, aber von großer Bedeutung sind die Entlassungspapiere sowie ein Gedicht ("Die Glocken von Heilbronn"), das er bis zu seinem Tode in seiner Brieftasche bei sich trug.
Ganz unten finden sich Karten, die den Weg verzeichnen.
Der Kalender zeigt neben persönlichen Daten Jahrestage, die für die NSDAP von politischer oder militärischer Bedeutung waren. Ferner sehen wir eine Übersicht im Format eines Minikalenders, auf der für die Monate Januar bis April einzelne Daten markiert sind. Was das zu bedeuten hat, erschließt sich nicht. Leider habe ich nicht danach gefragt.
1. März:
Angriff auf Ulm
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4. März:
Angriff auf Ulm
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15. April:
1. Tag - ab hier zählt er bis 10 am 23. April - warum, das kann ich nicht erklären.
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Donnerstag, 19. April, Nachrichten aus der Heimat:
"Soltau ging nach hartem Kampf verloren
erbitterte Kämpfe um Lüneburg und Ülzen (sic)
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Angriff auf Ulm"
Dienstag, 24. April:
"Ulm wird aufgegeben, Kämpfe um Neu-Ulm
25km marschiert bis Unteregg"
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Mittwoch, 25. April (Helmuts 26. Geburtstag):
20.00 abmarschiert von Unteregg bis Weiler bei Loppenhausen 25km.
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Donnerstag, 26. April:
Abmarsch von Weiler, Kirchheim Eppishausen
Freitag, 27. April:
Eppishausen
Jaboangriff (Jabo: Jagdbomber)
20.00 in Gefangenschaft
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Sonnabend, 28. April:
Sammelllager Baltzhausen (Balzhausen)
Abnahme aller Sachen
marschiert über Tannhausen (Thannhausen) bis Münsterhausen
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Sonntag, 29. April:
mit L.K.W. nach Aalen (Baracke)
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Montag, 30. April:
Aalen
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Dienstag, 1. Mai:
mit LKW über Backnang, Heilbronn, Heidelberg
Lager in Ludwigshafen, Rhein-Gönnheim
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Mittwoch, 2. Mai:
Hitler gefallen (das war die offizielle Meldung der nationalsozialistischen Propaganda; in Wahrheit hat er Selbstmord begangen und sich so der Verantwortung für seine unfassbaren Menschheitsverbrechen entzogen)
Rhein-Gönheim (richtig: Rheingönheim)
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Donnerstag, 3. Mai:
Rhein-Gönheim (Regen) (im Folgenden schreibt er: "Rheingönne")
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Freitag, 4. Mai:
Rheingönne (Regen)
Ein Loch ausgekratz (sic) mit kleinen Brettern!
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Sonnabend, 5. Mai:
Rheingönne
Den ganzen Tag geregnet
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Sonntag, 6. Mai:
Das Wetter wird besser.
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Montag, 7. Mai:
sehr warm
Der Krieg in Europa ist aus.
Hierzu erzählte Helmut: Die deutschen Soldaten erhielten plötzlich Befehl anzutreten. In seinem Umfeld kam die Befürchtung auf, nun würden "alle an die Wand gestellt", das hieß: erschossen. Denn kaum war der Befehl anzutreten ausgesprochen, entstand das Gerücht, Hitler habe doch noch eine dieser so oft versprochenen "Wunderwaffen" - noch 1944 hatte die V-2 immerhin aus großer Entfernung Ziele in London getroffen - losgelassen und London, andere meinten sogar New York, in Schutt und Asche gelegt. Und nun folge die Rache auf dem Fuß ...
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Mittwoch, 8. Mai
Sehr warm
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Donnerstag,, 9. Mai
Sehr warm (ebenso an den folgenden Tagen)
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Sonntag, 13. Mai:
" (die beiden Striche bedeuten: wie vorher, wie oben)
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Montag, 14. Mai:
Landwirte werden rausgezogen.
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Dienstag, 15. Mai:
Von Lager 3 in Lager 17
Personalaufnahme
Lager 19
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Mittwoch, 16. Mai:
Jeden Tag sehr warm
Johann Sczylo getroffen
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Donnerstag, 17. Mai:
Sehr warm
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Freitag, 18. Mai:
Gewitter, nur sehr wenig Regen
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Sonnabend, 19. Mai:
Regen,. sehr warm
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Sonntag, 20. Mai (Pfingstsonntag):
Pfingstgottesdienst
Untersuchung
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Montag, 21. Mai (Pfingstmontag):
Gewitter, den ganzen Tag Regen
1/2 Tag freier Arbeitsdienst gemacht, dafür 1/2 L. Essen erh.
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Dienstag, 22. Mai:
Das Wetter wird wieder besser.
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Mittwoch, 23. Mai:
Regen + naßkalt
Die ersten Landwirte werden aufgerufen
Aufteilung nach Postleitzahl.
Entlassung, in 1 Std. 4000 Mann
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Donnerstag, 24. Mai:
(Regen, kühl)
Postleitzahl 17 (a,b.c)
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Freitag, 25. Mai:
Postleitzahl 14
Gruppe II und III raus
sehr kühl
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Sonnabend, 26. Mai:
Platzwechsel innerhalb des Lagers 19
warm
Gerede von Entlassung
Eine sehr kalte Nacht
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Sonntag, 27. Mai:
6.30 kath. Gottesdienst
18.30 ev. "
Montag, 28. Mai:
Postleitzahl 16 / 13a
warm
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Dienstag, 29. Mai: (13b. - Ab jetzt notiert er in Klammern die Postleitzahlen, die zur Entlassung aufgerufen werden.)
sehr warm,
Gewitter und sehr viel Regen
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Mittwoch, 30. Mai: (22)
Regen
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Donnerstag, 31. Mai:
21. 15. 23. (wieder aufgerufene Postleitzahlen)
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Freitag, 1. Juni:
Emil Hawester + Karl Schlumbohm getroffen
warm Regen
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Sonnabend, 2. Juni:
Emil H. kommt raus
Regen
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Sonntag, 3. Juni:
18.00 Gottesdienst
sehr warm
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Montag, 4. Juni:
morgens schw. Gewitter und Regen
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Dienstag, 5. Juni:
sehr schönes Wetter
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Mittwoch, 6. Juni:
sehr warm
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Donnerstag, 7. Juni:
Offz. kommen raus II und III
Postleitz. 21/22/23
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Freitag, 8. Juni:
Im Lager 4.
Karl Schlumbohm auch da.
Den ganzen Tag gregnet (sic)
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Sonnabend, 9. Juni:
Das Wetter wird wieder besser.
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Sonntag, 10. Juni:
8 Uhr Gottesdienst
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Montag, 11. Juni:
In der Nacht sehr viel Regen
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Dienstag, 12. Juni:
Bis Mittag viel Regen.
17 Uhr Essen bekommen
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Mittwoch, 13. Juni:
10 Uhr Postleitzahl 20+24
sofort verladen auf LKW
15 Uhr in Heilbronn
schlechtes Wetter
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Sonntag, 17. Juni:
Sehr schönes Wetter
10.00 ev. Gottesdienst
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Montag, 18. Juni:
Durchsuchung aller Sachen
sehr warm
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Dienstag, 19. Juni und Mittwoch, 20. Juni:
sehr warm
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Donnerstag, 21. Juni:
Abends Gewitter
Sturm + Regen
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Freitag, 22. Juni:
Karl und ich eine Zigarette geraucht
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Sonnabend, 23. Juni:
Gewitter + Regen
warm
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Am Sonntag (24. Juni) Gottesdienst um 8 Uhr, sonst Wetteraufzeichnungen, die meist über Regen berichten
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Sonntag, 1. Juli:
Umquartierung innerhalb des Lagers, sonst wieder Wetteraufzeichnungen
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Mittwoch, 4. Juli:
Feiertag beim Amerikaner (Unabhängigkeitstag der USA, 4. Juli 1776)
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Sonntag, 8. Juli:
Sehr schönes Wetter
8.00 Gottesdienst
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Es folgen Aufzeichnungen zum Wetter. Bemerkenswert aber:
Donnerstag, 12. Juli:
pro Mann 1/2 Paket Tabak
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Freitag, 13. Juli:
Tabakausgabe
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Sonntag, 15. Juli:
Sehr warm
8.00 Gottesdienst
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Montag, 16. Juli:
Morgens Gewitter
den ganzen Tag Regen
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Dienstag, 17. Juli:
Wetter wird besser
2 x am Tag 1 Ltr. Essen
morgens 8 Kekse + 1/4 Brot
Decke empfangen
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Mittwoch, 18. Juli:
Sehr warm
2 x 1/2 Ltr. Essen
1/2 Kommißbrot
1 Paket Ami Tabak
Badehose genäht
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Donnerstag, 19. Juli:
Sehr warm
1/2 Kommißbrot
Karl eine Mütze für mich genäht
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Freitag, 20. Juli:
Von Lager 5 nach Lager 12
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Sonnabend, 21. Juli:
Sehr warm
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Sonntag, 22. Juli:
Sehr stzarker Wind
1 Lts. Essen
1/2 Brot
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Montag, 23. Juli:
Sehr warm
1 1/2 Ltr. Essen
1/3 Brot
Uhrkette gemacht
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Dienstag, 24. Juli:
Sehr warm
Haare schneiden lassen
Stiefel repariert
Uhrkette gemacht
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Mittwoch, 25. Juli:
Sehr warm
Abends Gewitter
1 Paket A. Tabak (A.; Ami)
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Donnerstag, 26. Juli:
warm
Freitag, 27. Juli:
warm
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Sonnabend, 28. Juli:
warm
nach Lager 5 C
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Sonntag, 29. Juli:
Durchschleusung nach Lager 8
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Montag, 30. Juli:
Arbeitdienst gemacht
Zeltpflöcke gesägt und gesp (gespalten)
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Dienstag, 31. Juli:
Arbeitdienst gemacht
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Mittwoch, 1. August:
Regen
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Donnerstag, 2. August:
Entlassungslager.
Papiere werden fertig gemacht.
40 M Entlassungsgeld.
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Freitag, 3. August:
Von E-Lager nach Lager 5 C!
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Sonnabend, 4. August:
12 Uhr antreten
5. Waggon
17 Uhr Abfahrt von Heilbronn
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Sonntag, 5. August:
Mannheim, Hanau, Kassel
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Montag, 6. August: keine Eintragung
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Dienstag, 7. August:
Um 2.00 Uhr in Wunstorf
8.00 Abmarsch nach Luther (Lutter),
Papiere in Ordn. gemacht,
Sachen durchsucht
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Mittwoch, 8. August:
11.00 Abmarsch z. Bahnhof
18.00 in Uelzen
L.K.W. zum Arbeitsamt
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Donnerstag, 9. August:
Um 10.00 in Lüneburg
12.00 Uhr zu Haus
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Die Glocken von Heilbronn
Das unten stehende Gedicht "Die Glocken von Heilbronn", mit Blaustift aufgeschrieben,
hat er immer in seiner Brieftasche mit sich getragen.
Übertragung:
Die Glocken von Heilbronn
1.
Kalt und dunkel war die Nacht,
Gedanken gehen in die Runde.
Im Osten graut der neue Tag mit Macht.
Es schlägt die sechste Stunde
Die Glocke von Heilbronn.
2.
Trüb ist mein Herz und trüb mein Sinn.
Ich lieg auf kalter Erde.
Still schlägt mein Herz zum Himmel hin.
Geb‘ Gott,daß dies ein Ende werde.
So klagt die Glocke von Heilbronn
3.
Durch Stacheldraht und Zaunespfähle
Die ersten warmen Strahlen
Der hellen Morgenröte
Zu mir ins Zelt reinfallen
Es schweigt die Glocke von Heilbronn.
4.
Ja, ist’s denn Sonntag heute?
Mir ist als würd ich Heimatglocken hören.
Sind's an der Zeit vier oder dreie?
Und plötzlich fängt es an zu dröhnen
Die Glocke von Heilbronn.
5.
O welche Lust euch zuzuhören,
Mein Herz, es schlägt im wilden Takt.
Hier sieht man nur noch Stacheldrähte
Wir sind ja in Gefangenschaft
O, ihr Glocken von Heilbronn.
6.
Bald hör' ich Heimatglocken wieder.
Drum läutet weiter euren heil‘gen Ton
Dann schließ' ich meine Augenlider
Und denk an euch
Ihr Glocken von Heilbronn
Heim.
1.
In weiter, weiter Ferne,
Da blühet all mein Glück.
Ich möchte‘ nach Haus so gerne,
Doch hält mich hier gefangen,
Mein Harren und mein Bangen,
Mein trauriges Geschick.
2.
Zu Hause sind die Lieben,
Besorgt um ihren Sohn.
Die Augen rot gerieben,
Das Herz so tränenschwer.
Die Mutter harrt auf ihn so sehr.
Ist das der vielen Liebe Lohn?
3.
Ihr Lieben, laßt das Weinen,
Ich komm ja bald zurück.
Es will ein jeder zu den Seinen,
Auch ich bin bald daheim.
Dann woll'n wir dankbar sein,
Dem Gott für unser Glück.
Die Entlassungspapiere:
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Kartenmaterial (Quelle: maps.google)
Alle Karten: maps.google.de